Meet a Jew

„Und wir waren zu beschäftigt
Stolz zu sein auf die Erinnerungskultur“
(Max Herre in seinem Lied: „Dunkles Kapitel“)

Corona eröffnet Welten!
Wer hätte das in einer Zeit des Lockdowns gedacht, in der wir uns alle zurückziehen auf uns selbst!
Mit dem Projekt „Meet a Jew“ haben zwei Ethik-Klassen/Kurse von Frau Kliewer im März 2021 Gespräche mit jungen Jüdinnen und Juden geführt – digital und trotzdem ganz persönlich.
Das ist auf jeden Fall ein Format, das sich auch für andere Klassen/Kursen anbietet.

Zwei SchülerInnen der beiden Gruppen haben hinterher zurückgeschrieben:

Liebe Meet a Jew – Gruppe,
Als allererstes würde ich mich gerne bei euch allen herzlich dafür bedanken, dass ihr euch die Zeit genommen habt, um uns euren Alltag als Juden in Deutschland näher zu bringen. Ich persönlich habe davor noch nie mit Juden geredet und kannte sie nur aus Geschichtsbüchern und Dokumentationen. Wenn ich davor an Juden gedacht habe, hatte ich sofort das Bild von einem streng religiösen Mann mit Kippa im Kopf. Deswegen war ich auch ein wenig überrascht, als da plötzlich so sympathische, junge Leute in der Videokonferenz waren, die auch keineswegs engstirnig gewirkten.
Klar wusste ich davor schon, dass es auch viele junge Juden gibt. Aber es hat mich dann doch ein wenig geschockt, dass ihr ganz anders wart als ich mir euch vorgestellt habe. Und genau deshalb mag ich euer Projekt auch sehr, da man reale Menschen trifft und anstatt über die Juden mit ihnen spricht.
Ich verbinde Religion oft eher mit Verzicht als mit Erfüllung, tendiere dazu Religion mehr mit Eindimensionalität zu verbinden als mit Weltoffenheit und wurde schon öfter wegen meiner Sexualität von religiösen Menschen diskriminiert, was dazu geführt hat, dass es mir oft schwer fällt religiösen Menschen komplett vorurteilsfrei entgegenzutreten. Ihr habt es mir allerdings sehr leicht gemacht mich auf einen Dialog einzulassen.
Ich fand besonders Gabriella sehr informativ, da es mich als überzeugte Atheistin selbstverständlich brennend interessiert weshalb jemand freiwillig religiös wird.
Ich hoffe, dass ihr noch mit vielen weiteren Klassen solche Begegnungen habt, da es vor neuen Vorurteilen schützt und bereits existierende abbaut. Vielleicht könnt ihr ja auch ein paar Schulen besuchen, wenn Corona irgendwann mal Geschichte ist. Ihr könntet eventuell auch versuchen, auf YouTube aktiver zu sein. Ihr habt zwar schon einen Kanal (Ich habe euch natürlich abonniert!) und ein paar Videos hochgeladen, aber ich fände es cool, wenn ihr regelmäßiger etwas hochladen könntet, weil ich euer Projekt eigentlich wirklich gerne weiterverfolgen würde und es mich freuen würde, wenn noch mehr Leute auf euch aufmerksam werden würden. Euer Projekt hat mir nicht nur geholfen, Vorurteile abzubauen. Es hat mir auch viel Neues über eure Religion beigebracht. Davor wusste ich auch noch nicht so viel darüber was das Judentum auszeichnet und das was ich wusste, wusste ich vom Ethik-Unterricht. Dort haben wir vor einigen Wochen angefangen, zum Thema Antisemitismus zu arbeiten, was mir zwar auch mehr über das Judentum beigebracht hat, aber es ist selbstverständlich noch einmal etwas anderes, wenn man den Leuten auf der anderen Seite des Bildschirms gegenübersitzt und auch Fragen stellen kann. Teilweise habe ich mich auch nicht getraut euch gewisse Fragen zu stellen, da ich Angst hatte in ein Fettnäpfchen zu treten. Aber jetzt weiß ich selbst, dass diese Angst unbegründet war. Nochmals Dankeschön für die Erfahrung!
Ich hoffe ihr macht so weiter!

Sehr geehrte Veranstalter*innen von „Meet a Jew“,

Zuallererst möchte ich mich bei euch für eure ausgesprochene Offenheit bedanken. Ich sehe es eigentlich als etwas traurig an, dass ihr uns über das jüdische Leben aufklären müsst, da dies eigentlich nicht eure Aufgabe sein sollte. Eigentlich sollten wir mehr Eigeninitiative ergreifen und uns auch selbstständig mehr und intensiver mit dem Judentum befassen. Oftmals fällt es uns schwer, Themen, welche man mit Sensibilität angehen sollte, anzusprechen. Dieses Gefühl hatte ich bei unserer Begegnung überhaupt nicht. Wir Schüler haben uns getraut, bestimmte Dinge zu thematisieren, da ihr einen geschützten Raum geschaffen habt!
Mir sind durch den Austausch einige Dinge klarer geworden:
Von unserem Gespräch habe ich wahrscheinlich eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Holocaust erwartet und wie es sich für euch anfühlen muss, in demselben Land zu leben, in dem die vermutlich grausamste Tat der Geschichte stattgefunden hat.
Jedoch habe ich im Nachhinein verstanden, dass wir dadurch wieder mal das jüdische Leben lediglich in eine Opferrolle stecken würden und uns gar nicht mit der Kultur, welche so vielfältig und facettenreich ist, beschäftigen würden. Das ist bestimmt auch der Grund, weshalb sich in einem Gespräch mit Juden manchmal eine Art Verkrampftheit entwickeln kann. Hinzu kommt, dass ihr nicht die Opfer seid und sicherlich nicht immer nur darauf reduziert oder damit in Verbindung gebracht werden wollt. Deshalb war es umso interessanter, dass wir die Möglichkeit hatten, alles aus einem neuen Blickwinkel betrachten zu können. Damit meine ich: Was macht das Judentum so besonders? Was waren Beweggründe für einen Übertritt? Wie lebt ihr euren Alltag?
Besonders hat mich die Freiheit im Judentum beeindruckt. Ich empfinde es als etwas wirklich Lobenswertes, dass dem Einzelnen die Entscheidung überlassen wird, bis zu welchem Grad er seinen Glauben ausleben möchte. Denn ich verbinde Religion oftmals mit Zwängen, Bestrafung und Sünde, weshalb ich mich auch als Atheistin sehe. Das Prinzip der freien Entscheidung, ohne negative Konsequenzen, ist für mich äußerst progressiv, was man zum Beispiel vom Christentum nicht immer behaupten kann.
In dem Lied „Dunkles Kapitel“ von Max Herre gibt es eine Zeile, welche ich mit euren Antworten assoziiere: „Und wir waren zu beschäftigt, stolz zu sein auf die Erinnerungskultur“. Ich habe oftmals das Gefühl, dass immer noch die Augen verschlossen werden, wenn es um strukturellen, sozialen oder politischen Antisemitismus geht. Das beginnt schon im Alltag eines Schülers, wenn diesem verboten wird, die Kippa im Unterricht zu tragen. Stattdessen klopft man sich auf die Schulter, wenn es einen Thementag gibt oder wenn in einer Stadt Stolpersteine verlegt werden. Natürlich ist das eine wirklich schöne Idee, jedoch darf die Arbeit nicht dort enden. Viele Menschen haben das Gefühl, dass das Thema mittlerweile „vom Tisch ist“, aber das können lediglich die Betroffenen beurteilen und da ist die eindeutige Antwort: Nein. Jüdisches Leben existiert doch offensichtlich nicht nur in Festjahren wie jetzt, wo man „1700 Jahre Juden in Deutschland“ feiert. Mir war, um ehrlich zu sein, nicht bewusst, wie sehr unser Land Bestätigung sucht und in gewisser Weise Komplexe hat. Dies zeigt mal wieder, dass Deutschland definitiv ein Problem mit der Aufarbeitung hat und noch viel Arbeit vor uns liegt. Diesbezüglich stelle ich mir auch noch eine Frage, welche sich dann leider doch auf die Shoah bezieht: Zurzeit gibt es ja noch Überlebende des Holocausts, welche über ihre Erfahrungen berichten können. Glaubt ihr, dass sich die Aufklärungsarbeit erschweren wird, wenn es keine Zeitzeugen mehr gibt und es infolgedessen beispielsweise Leugner einfacher haben werden, ihre Ideologien zu verbreiten? In Zeiten von Verschwörungstheoretikern und inakzeptablen Parteien, wie beispielsweise der AfD oder der NPD ist es umso wichtiger, sich intensiv mit verschiedenen Minderheiten zu beschäftigen und sich gegen die Hetze durchzusetzen. Mich hat es sehr geschockt, als gesagt wurde, dass es für eine Person ein Vorteil sein kann, nicht jüdisch auszusehen. Das ist natürlich nachvollziehbar, aber genauso bedrückend zugleich. Nicht in der Lage zu sein, sich mit seinem Aussehen wohlfühlen zu können, aus Angst vor unangebrachten Bemerkungen oder gar Angriffen stelle ich mir als äußerst deprimierend und erschütternd vor. Ich wünsche mir wirklich so sehr, dass unsere Gesellschaft respektvoll, tolerant, aufgeschlossen, verständnisvoll, einsichtig und einfühlsam wird.
Zuletzt würde ich noch gerne auf die Frage der Schuld eingehen. Ich fand es äußerst interessant und inspirierend, als im Gespräch erwähnt wurde, dass wir auch mal in uns selbst hineinhorchen sollten, um unser „inneres Monster“ zu finden und es zu identifizieren. Auch ich habe mir schon oft die Frage gestellt, was ich wohl damals getan hätte. Höchstwahrscheinlich hätte ich mich in der NS-Zeit auch dem Regime gebeugt, was mich zwar schockiert, aber wie in unserem Gespräch erwähnt wurde, passiert in China zurzeit auch ein Genozid an den Uiguren und keiner schreitet ein. „Willkommen in der neuen alten Zeit!“ heißt es bei Max Herre weiter. Deshalb sehe ich mich nicht in der Position, die Menschen zu verurteilen. Heute schaue auch ich mehr oder weniger tatenlos zu.

Mit dem Projekt „Meet a Jew“, wird schon einmal ein großer Beitrag geleistet, der uns einen Schritt näher zu einer besseren Gesellschaft führt. Umso schöner war es, dass der Austausch mit euch jungen Erwachsenen stattgefunden hat. Dies hat es wahrscheinlich erleichtert, sich mit euch zu identifizieren und Fragen zu stellen. Ich würde dieses Angebot sicherlich weiterempfehlen, da man nicht oft die Möglichkeit bekommt, so konkrete Antworten zu erhalten und in so einen offenen Austausch zu kommen, vor allem nicht in Corona-Zeiten.
Ich wünsche euch allen nur das Beste und weiterhin viel Erfolg mit „Meet a Jew“ und würde mich natürlich über eine Antwort freuen.