„Ich finde nicht, dass Religionen allzu viel Frieden bringen“


„Viel Grausames gibt es, am grausamsten ist der Mensch”, riefen die Schauspieler der Theater-AG des Gymnasiums in der Aula des Alfred-Grosser-Schulzentrums. Sie zitierten aus der „Antigone” des antiken Dichters Sophokles anlässlich des Besuchs von Professor Alfred Grosser. Der 92-Jährige stellte an diesem 23. Mai in Bad Bergzabern sein neues Buch „Le Mensch” vor. Entgegen den Befürchtungen des Sophokles wolle er das „Menschwerden begünstigen. Das ist eine Aufgabe, die im Widerspruch steht zur Verzweiflung an der Welt”, so Alfred Grosser. „Weltoffen und frei” solle man dazu werden, zitierte der Schulleiter des Gymnasiums im Alfred-Grosser-Schulzentrum Bad Bergzabern Pete Allmann an diesem Abend den Gast. Dazu aber, so Grosser, müsse man sich bewusst werden über die eigenen Identitäten. „Ich habe wie alle verschiedene Identitäten: Ich bin zum Beispiel ein Mann. Das gibt mir schon mal viele Vorteile. Außerdem bin ich Pariser. Auch das hat in Frankreich viele Vorteile”, so Grosser. Man müsse aber Distanz zu den eigenen Zugehörigkeiten haben, um das Leiden der anderen zu verstehen. „Weil ich Jude bin, aber Distanz dazu einnehme, verstehe ich zum Beispiel das Leiden der Palästinenser”, so Alfred Grosser.
Distanz nahm der Namensgeber in seinem Schulzentrum auch zu seiner Herkunft aus Frankfurt. Er berichtete im Laufe des Abends kurz, wie er als jüdischer Schüler in Frankfurt verprügelt wurde und wie er nach der Flucht nach Frankreich in den 1930er-Jahren in Frankreich gleich als Franzose begrüßt worden sei. Er hasse es, als „Deutsch-Franzose” betitelt zu werden. „Ich bin Franzose!”, betonte er auch an diesem Abend Ende Mai in Bad Bergzabern. Dennoch habe er gleich nach dem Krieg die Zusammenarbeit mit Deutschen gesucht. „Wir haben gesagt: Es gibt nicht die Deutschen und deshalb wir haben mit deutschen Widerständlern zusammengearbeitet”, erzählte Alfred Grosser.

Alfred Grosser blickte immer wieder erfreut auf die Bühne, wo Gruppen des Gymnasiums Musik, Theater und Kunst boten: Das Streichorchester unter Leitung von Bärbel Rohde, die Theater-AG unter Leitung von Berthold Blaes, die Jazz-Combo unter Leitung von Theodor Schmidt, die Musical-AG unter Leitung von Christoph Bornschein sowie ein Kunstprojekt unter Leitung von Franz Leschinger. Alle wurden unterstützt von der Licht- und Ton-AG unter Leitung von Sven Scheidner.

Grosser 17

Durch den Abend führten zwei Schülerinnen der zwölften Jahrgangsstufe: Maya Engel und Leah Stephan. Beide befragten Alfred Grosser zu wesentlichen Thesen seines Buches. Leah Stephan fragte den bekennenden Atheisten zum Beispiel: „Sie mussten aufgrund ihres Judentums aus Deutschland fliehen, haben ihre vier Söhne aber katholisch getauft. Gab es da nicht Momente, in denen Sie Ihre Identität hinterfragten?” Alfred Grosser antwortete: „Ich war immer mit Christen befreundet, aber ich meine echte Christen, nicht die CSU!” Ein guter Freund von ihm sei der Münchner Kardinal Reinhard Marx. „Dennoch ist für mich der Tod das Ende!”

Umso mehr versuche er in seinem Leben Menschen zu befreien. Maya Engel und Leah Stephan fragten weiter, warum sich seiner Meinung nach so viele Menschen zur Terrororganisation „Islamischer Staat” bekennten. Alfred Grosser verwies zunächst auf die katholische Kirche: „Zwischen dem 5. Jahrhundert und 1965 war die Toleranz keine katholische Tugend” und Karl der Große habe im Namen der Religion mehr Sachsen töten lassen als der IS heute. Natürlich sei die katholische Kirche heute nicht mehr so, aber sie solle sich daran erinnern. Auch bei innermuslimischen Konflikten, zum Beispiel zwischen Sunniten und Schiiten gebe es viele Tote. Alfred Grosser schloss diesen Exkurs mit den Worten: „Ich finde nicht, dass Religionen allzu viel Frieden bringen!”

Maya Engel fragte Alfred Grosser, ob es einen Unterschied zwischen normativer und eigener Identität gebe. Der Pariser antwortete, er sei nie in Parteien gewesen, weil dazu zu viel Selbstzensur nötig gewesen wäre. Er lobte bei dieser Gelegenheit aber die Journalisten. Zwar gebe es keine Wahrheit, aber es gebe doch einen „enormen Unterschied zwischen Journalisten, die versuchen, objektiv zu sein und denen, die das nicht versuchen”

Ansonsten blieb Alfred Grosser seinem Motto treu, Unbequemes anzusprechen. „Ich sage in Frankreich Böses über Frankreich und Gutes über Deutschland und umgekehrt. Er lobte zum Beispiel, dass in Frankreich niemand von „Migrationshintergrund” spräche. Er sei seit 1937, also seit seiner Emigration, Franzose. Sein neues Buch „Le Mensch” solle zwei Dinge zeigen: „Erstens: Die Dinge sind kompliziert und zweitens: Am Schluss soll der Leser etwas mehr als freier Mensch dastehen”, so Alfred Grosser.

Text: VOL, Fotos: BI