„…damit sich so etwas nie mehr wiederholen kann“ – Bergzaberner Schüler besuchen die KZ-Gedenkstätte Natzweiler-Struthof

Am 27. November 2019 haben alle Schülerinnen und Schüler der 10. Klassen des Gymnasiums im Alfred-Grosser-Schulzentrum Bad Bergzabern zusammen mit ihren Geschichtslehrern eine gemeinsame Gedenkstättenfahrt zum ehemaligen Konzentrationslager Natzweiler-Struthof unternommen. Finanziell unterstützt wurde diese Fahrt freundlicher Weise durch die VR Bank Südliche Weinstraße in Bad Bergzabern und den Verein der Freunde des Gymnasiums.

Wie in jedem anderen Fach gibt es auch im Geschichtsunterricht Themen, die besonders wichtig sind und mit denen man sich einfach befassen muss. Eines dieser wichtigen Themen, wenn nicht heute sogar das wichtigste Thema, ist der “Nationalsozialismus”. In diesem Zusammenhang gehört seit nunmehr schon 17 Jahren eine Gedenkstättenfahrt zum ehemaligen Konzentrationslager Natzweiler-Struthof in den Vogesen, dem einzigen deutschen Konzentrationslager auf französischem Boden, als fester Bestandteil zum Programm unserer Schule.

Das terrassenartige Lagergelände

Wir Schüler wussten vermutlich alle nicht, worauf wir uns an diesem Tag einstellen sollten, denn wir hatten zwar alle schon einmal von den Konzentrationslagern der Nazis und den Ereignissen dort gehört, aber selbst in einem solchen Lager waren, wenn überhaupt, dann doch nur die Wenigsten von uns.

Um uns die Geschehnisse im Lager näher zu bringen, ließen unsere Geschichtslehrer uns Textausschnitte aus einem Buch mit dem Titel “Nacht und Nebel” von Floris B. Bakels vorlesen, welcher selbst als Häftling die Zeit in diesem und mehreren anderen deutschen Konzentrationslagern überlebt hatte.

In einem der Texte wird beschrieben, wie die Häftlinge, meist gefangene Widerstandskämpfer aus dem von Hitler besetzten Europa, mit dem Zug zum Lager gebracht wurden und schließlich im Bahnhof Rothau ankamen, einem Ort, der etwa acht Kilometer vom Lager entfernt unten im Tal liegt. An diesem Bahnhof machten auch wir einen kurzen Zwischenstopp. Dort erinnert nicht mehr viel an das, was sich hier vor über 70 Jahren ereignete, einzig eine Gedenktafel an der Außenwand des Bahnhofgebäudes gibt darüber kurz Auskunft. Als wir danach die kurvige Straße zum Konzentrationslager hinauffahren, erfahren wir von unseren Lehrern, dass die ersten Häftlinge damals zunächst diese Straße selbst ausbauen mussten, bevor das für sie bestimmte Lager angelegt werden konnte.

Seinen Ursprung hat dieses KZ im Herbst 1940, als SS-Obersturmbannführer Karl Blumberg in den elsässischen Vogesen das Vorkommen eines seltenen Granits ausfindig machte, welcher rosa statt grau ist. Diese Information gelangte dann recht schnell bis zu Hitler und seinem Architekten Albert Speer, der den neu entdeckten rosa Granit als Baumaterial für die in Berlin geplanten NS-Großbauten nutzen wollte. So wurde im Auftrag Hitlers an dieser Stelle ein Konzentrationslager gebaut, um den begehrten Stein von den Häftlingen dort abbauen zu lassen.

Errichtet wurde das Lager dann ab Mai 1941 auf einem abschüssigen Skigelände, einen Kilometer vom Granitsteinbruch entfernt, von eigens dafür aus anderen Konzentrationslagern hierher verlegten Häftlingen. Das Lager war eingestuft als ein Konzentrationslager der höchsten Stufe 3 und zudem ein sogenanntes „Nacht und Nebel“-Lager, was bedeutet, dass die Häftlinge bei „Nacht und Nebel“ hierher verschleppt wurden und verschwanden, ohne dass ihre Familien erfuhren, wohin sie deportiert wurden.

Wir betraten das Lagergelände in fünf Kleingruppen durch das Tor, durch das auch damals jeder Häftling gehen musste. Unser Geschichtslehrer erzählte uns, bevor wir durch dieses Tor hindurchgingen, was die Lageraufseher damals zu den neu ankommenden Häftlingen zur Begrüßung gesagt haben – ein Satz, den ich so schnell nicht mehr vergessen werde: „Durch dieses Tor kommt ihr in das Lager hinein, und durch den Schornstein dort unten verlasst ihr es wieder“. Allein schon beim Anblick des Krematoriums mit seinem Schornstein dreht sich mir der Magen um und dieses Gefühl von Übelkeit kann ich den ganzen Aufenthalt über nicht mehr loswerden.

Das Lager selbst ist auf mehreren Terrassen angelegt worden, auf denen je zwei Baracken standen, von denen heute nur noch vier stehen. In einer der beiden Baracken auf der untersten Ebene befinden sich das Krematorium und das „Revier“, die Lager-Krankenstation. Umzäunt ist das Lagergelände von einem hohen Elektro- und Stacheldrahtzaun in Doppelreihe, zwischen denen sich acht Wachtürme befinden.

Der doppelte Elektro- und Stacheldrahtzaum um das Lagergelände

Während wir uns das Lager anschauen und einige unserer Mitschüler an ausgewählten Haltepunkten Texte aus den oben genannten Erinnerungen des ehemaligen holländischen Häftlings an seine Zeit in diesem Lager vorlesen, weht uns ein eiskalter Wind um die Ohren, ab und zu fängt es kurz an zu regnen. Das Wetter ist, wie wir erfahren, hier oben oft extrem: Im Sommer kann die Temperatur auf bis zu 40°C steigen, während im Winter häufig Temperaturen von -10°C bis sogar -20°C herrschen können, dazu kommt ein eisiger Wind und Schnee von bis zu 1,50 m Höhe.

Einer unserer ersten Haltepunkte ist der Galgen auf dem obersten Appellplatz. Hier hören wir von der Hinrichtung eines jungen Polen, die sich über eine dreiviertel Stunde hinzog und der die angetretenen Häftlinge von Anfang bis Ende beiwohnen mussten. Diese Vorstellung ist ebenfalls eine, die ich wahrscheinlich nicht so schnell wieder aus meinen Gedanken verdrängen kann.

Die Stufen, die wir dann hinuntergehen, um auf den relativ steilen Weg zu gelangen, der an den Baracken vorbei zum Krematorium führt, sind alle absichtlich unterschiedlich hoch, damit die Häftlinge umso leichter stolperten. Wer dabei in Richtung Lagerzaun hinfiel, wurde von einem Maschinengewehrschützen vom nahen Wachturm aus „auf der Flucht“ erschossen. Der Schütze wurde mit drei Tagen „Sonderurlaub“ belohnt.

Einer der Wachtürme entlang des Lagerzauns

Schließlich kommen wir auf der untersten Terrassenebene an, auf der sich das Krematorium mit dem Revier und der „Bunker“ genannte Gefängnisblock des Lagers mit dem Prügelbock befinden, auf dem Häftlinge, die z.B. gegen die Lagerordnung verstoßen hatten, „von den deutschen Bestien“, so der ehemalige Häftling Floris B. Bakels in seinen Erinnerungen, blutig und fast zu Tode geprügelt wurden.

Der Prügelbock im sogenannten „Bunker“

Das Krankenrevier des Lagers wurde dafür verwendet, Experimente an Menschen im Rahmen medizinischer Forschungen an der Reichsuniversität Straßburg durchzuführen. Dazu zählten die Versuche des Medizinprofessors Eugen Haagen an Häftlingen, um einen neuen Typhus-Impfstoff zu entwickeln, die Versuche von Professor August Hirt mit Senfgas, sowie Versuche mit Phosgengas, durchgeführt von Otto Bickenbach. Kaum einer der Häftlinge, die an diesen Versuchen teilnehmen mussten, überlebten diese. Diejenigen, die sie überlebten, wurden zum Teil noch lebendig auf dem im Revier befindlichen Seziertisch ‚untersucht’.

Der Seziertisch im Krankenrevier des KZ

Das Krematorium, das sich neben dem Revier befindet, haben wir uns ebenfalls angesehen und dazu einen weiteren Text vorgelesen.

Der Verbrennungsofen befindet sich direkt neben einem großen Wassertank, der an die Duschen für die SS-Lageraufseher angeschlossen ist, die sich im Duschraum nebenan befinden, und dessen Wasser durch den Verbrennungsofen erwärmt wurde. Neben dem Ofen hängt eine Gedenktafel, auf der die Namen von 106 Freiheitskämpfern einer französischen Widerstandsgruppe stehen, welche im September 1944, kurz vor der bevorstehenden Räumung des Lagers angesichts der heranrückenden alliierten Truppen, hier an dieser Stelle zuerst erhängt und dann verbrannt wurden.

Der Verbrennungsofen und daneben der Warmwassertank für die Duschen der Aufseher

Das Nebengebäude des Gasthofs „Struthof“ mit der Gaskammer im ehemaligen Festsaal

In unserem letzten Vorlesetext ging es dann schließlich um die Gaskammer, die 1,5 km vom Lager entfernt ist. Sie befindet sich im ehemaligen Festsaal des Gasthauses „Struthof“, nach dem das Lager seinen Namen erhielt. Hier fanden keine Massenvernichtungen, wie z.B. im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau statt, denn die Gaskammer mit ihren ca. 9 m² diente ebenfalls für medizinische Forschungen an der Reichsuniversität Straßburg. Im August 1943 wurden in dieser Gaskammer 86 jüdische Häftlinge aus Auschwitz ermordet, damit Professor Hirt seine Skelett-Sammlung mit diesen aufbauen konnte, um damit ‘Rassenforschung’ zu betreiben. Außerdem nutzte man die Kammer für Testreihen mit neuen Kampfgasen. Auch beim Anblick dieses Gebäudes wird mir wieder anders.

Die Gaskammer

Als wir schließlich mit dem Bus nach Hause zurückfahren, denke ich nach über die Bilder, die ich jetzt im Kopf habe, über die Häftlinge und die SS-Männer, die als Täter hier aktiv waren. Ich frage mich, ob diese Fahrt mein Leben jetzt in irgendeiner Weise beeinflusst hat, und warum Menschen anderen Menschen solche ungeheuren Grausamkeiten angetan haben, mit denen ich heute an diesem Gedenkort konfrontiert wurde. Ich fühle mich in meiner Meinung über diese vergangene Zeit, über diese NS-Monster und über das Nazi-Regime bestätigt.

Wir alle sollten aus dieser Vergangenheit etwas lernen, und jeder Einzelne sollte sich verpflichtet fühlen, zumindest einen kleinen Teil dazu beizutragen, dass sich so etwas nie mehr wiederholen kann. Weil wir das den Menschen schuldig sind, die unter dieser Zeit gelitten haben und damals von den Nazis ermordet wurden. Weil wir junge Menschen von heute es in der Hand haben, unsere Zukunft von morgen zu bestimmen.

 

Text und Fotos: Belana Hasenfuß, Klasse 10 a, und OStR Stefan Bingler