Schüler*innen des Ethik-Kurses 11 nehmen an einer Gedenkveranstaltung in Klingenmünster teil (Ein Bericht von Alison Ulm)

Am Sonntag, den 10.09.2023 fand im Pfalzklinikum in Klingenmünster ein Gedenktag an die damalige Evakuierung der Heil- und Pflegeanstalt Klingenmünster statt, welche sich am 10.09.1939 ereignete.

Bei meiner Ankunft wurde ich freundlich in Empfang genommen. Anschließend gab es eine kurze Ansprache, in der wir begrüßt und über die Themen sowie den Ablauf der Veranstaltung informiert wurden. Danach folgte eine Gedenkzeit, die 2 Minuten und 23 Sekunden andauerte. Während dieser Zeit schwiegen wir für die 223 Menschen, die damals im Zuge der Evakuierung in Tötungsanstalten ermordet wurden.

Klingenmünster lag in der „Roten Zone“, die in der Nähe der französischen Grenze lag. Alle Menschen aus dieser Zone mussten nach Beginn des Krieges nach Bayern transportiert werden, auch die aus der Klinik. Am Morgen des 10.09.1939, erfolgte telefonisch die Ankündigung der Räumung beim Verwaltungsleiter. Einige Stunden später wurde der Räumungsbefehl offiziell bekanntgegeben. Die Patienten sollten auf 13 bayrische Heil- und Pflegeanstalten verteilt werden. Gegen Mittag trafen schließlich zwei Sonderzüge ein, die die Patienten nach Bayern transportieren sollten. Die Sonderzüge stellten sich jedoch als Viehwagons heraus. Bis zum Abend musste die Räumung vollständig vollzogen sein. Für das Zusammenpacken von Kleidung und anderen Habseligkeiten blieb daher nur wenig Zeit. Die 1.251 Patienten mussten den Weg zum Bahnhof zu Fuß auf sich nehmen. Beim Einstieg brach bei vielen Panik aus, es wurden mehrere Fluchtversuche unternommen, bis einige mit Spritzen ruhiggestellt wurden. 223 Menschen kamen in den bayrischen Einrichtungen durch Euthanasie zu Tode. Etwa 1.700 weitere starben in Klingenmünster durch gezielten Nahrungsentzug, unterlassene Hilfeleistung und Überdosierungen ihrer Medikamente.

Nachdem wir die erschreckenden Einstiegsworte auf uns wirken ließen, folgte ich den anderen Besuchern in die Klinikkirche, welche dem Anlass entsprechend dekoriert war. Dort begann die Vorlesung zunächst mit einer Original-Radioansprache von Arthur Julius Gütt, welche uns einen guten Einstieg ins Thema lieferte. Gütt war ein deutscher Arzt, Eugeniker und SS-Brigadeführer. In seiner Ansprache berichtete er von der Gefahr des zunehmenden Geburtenrückgangs und der Verschlechterung des Erbgutes des Volkes, wogegen seit der Machtergreifung Hitlers reagiert werde. In den Vordergrund stellte er das Mitleid, da jede im Gesetz aufgeführte Krankheit ein unendliches Leid für den Patienten und die Angehörigen bedeute. Die einzige Lösung sei also die „Euthanasie“, also die Tötung erbkranken Lebens. Ziel sei die Gesundung des Volkes, das Töten von Behinderten sei demnach eine bevölkerungspolitische Maßnahme zum Segen des Volkes.

Im Anschluss begann eine Lesung, in der Alfons Ludwig Ims uns aus seinem Buch „Eine ‚asoziale‘ Pfälzer-Familie“ seine eigene Familie präsentierte. Er stellt den tragischen Abstieg einer Pfälzer Großfamilie dar, der damit endete, dass seine Halbgeschwister nach Klingenmünster transportiert wurden, weil sie als „erbkrank“ bezeichnet wurden. Die Politik der Nazis vermischte klassistisches Denken und Rassenhygiene: Wer arm war, konnte auch als „krank“ angesehen werden. Damals wurden unter den „Asozialen“ als gemeinschaftsstörende, verwahrloste Individuen verstanden, die eine Gefahr für die Gesellschaft darstellten. Menschen, die so bezeichnet wurden, bekamen keine Hilfe vom Staat, sie wurden als „erbkrank“ in Heime gebracht, in Konzentrationslager gesteckt oder zwangssterilisiert. Genau das passierte mit der ersten Frau seines Vaters und seinen Halbgeschwistern, weil die Familie mit der Erziehung und Pflege der Kinder überfordert war. Der Vater galt als ehemaliger „pfälzischer Separatist“ als unzuverlässig, der Frau wurde vorgeworfen, dass sie eine schlechte Hausfrau war. Als die Familie sieben Kinder bekam, wurden sie nicht als „kinderreiche Familie“ ausgezeichnet, sondern als „asoziale Familie“ wahrgenommen, weil sie nicht „erbtüchtig“ waren. Die Kinder wurden in verschiedene Heime gegeben, nur durch Glück entgingen sie der Euthanasie in Klingenmünster. 1943 verstarb die erste Frau, der Vater von Ims heiratete daraufhin noch einmal und bekam noch einmal zwei Kinder von seiner zweiten Frau, u.a. Alfons Ludwig Ims. Seine Mutter bemühte sich nach dem Krieg vergeblich, alle Kinder aus der ersten Ehe wieder aus den Heimen zurückzuholen.

Der Autor gehört zu den Mit-Initiatoren eines Verbands zur Erinnerung an die verleugneten Opfer des Nationalsozialismus (https://www.die-verleugneten.de/). Die Diskussion im Anschluss an die Lesung zeigte: „Es gibt keine Gegenwart ohne Vergangenheit“. Die Zuhörenden hatten die Möglichkeit, bei einem gemeinsamen Mittagessen über das Gehörte nachzudenken.