Morden als Gesellschaftsspiel


Wenn sich der Vorhang öffnet, locken uns bekannt-unbekannte Klänge (Myriam Alter: Was it there), zu einer Reise in die irre Welt der Brewster-Familie. Auf der Bühne lädt eine mit rotem Samt dekorierte Truhe sowie ein Teetischchen zum Verweilen ein. Ein auf den ersten Blick aufgeräumt gemütliches Zuhause, das allerdings nach außen durch schwarze Wände abgeschirmt ist und somit Dunkles erahnen lässt. Zwei Treppen weisen den Weg in weitere Stockwerke dieser gutbürgerlichen Wohnwelt. Hier kann vor allem der geisteskranke Neffe Teddy (Nam Nguyen), den die Brewster-Schwestern Abby und Martha fürsorglich in ihre Obhut genommen haben, seine Fantasie als Präsident Roosevelt und damit Oberbefehlshaber austoben und Fanfaren zur Attacke blasen. Über einen schmalen Gang am rechten Bühnenrand gelangen die Brewsters in ihren Keller, den eigentlichen Mittelpunkt ihres Lebens. Denn in ihrem Leben dreht sich alles um den Tod. Abby und Martha glauben an eine Erlösung, freilich nicht für sich selbst, sondern vor allem für betagte einsame Herren, die sie als Gäste mit ihrem selbstgebrauten arsengewürzten Holunderwein bewirten, um sie aus purer Nächstenliebe ins Jenseits befördern. Wenn Abby (Sarah Forbat) gekonnt im Rundum-Sorglos-Plauderton frohlockt und ihren Gästen ihre mörderischen Wohltätigkeiten anpreist, sind alle – von der Polizei über den Pfarrer bis zum Zuschauer – glaubhaft versichert, dass sie nichts Böses im Sinn hat bzw. haben kann. Dazu ist sie einfach zu großzügig und vornehm. Auch ihre Schwester Martha (Lara Abele) strahlt diese Aura aus: grazil legt sie ihren blutroten Mantel ab, bevor sie mit anmutigen Bewegungen dem Gast ein Gläschen vom Holunderwein anbietet. Ganz nebenbei erzählt sie von den glücklichen Gästen, denen man auch eine ehrwürdige Trauerfeier zuteilwerden lässt, bevor sie als Leichen im Keller landen.
 
Eine Art Kellerfenster – wir sehen ein Schattenspiel – zeichnet uns einen vagen Einblick in die Tiefen dieser Unterwelt: Wo der verrückte Neffe Teddy glaubt, den Panama-Kanal zu graben, können Abby und Martha bequem die vielen Leichen entsorgen, die ihre Wohltätigkeit hinterlässt. Dieses barmherzige Treiben wird jedoch gestört, als Mortimer, ein weiterer Neffe (Ujiol Teichmann), eine noch nicht bestattete Leiche in der roten Truhe im Wohnzimmer entdeckt. Sein langweiliges Leben als gefrusteter Theaterkritiker, das gerade in geordnete Ehebahnen münden sollte, beginnt Fahrt aufzunehmen. Statt sich mit seiner frisch verlobten Elaine, die von Jamina von Fragstein authentisch als Girlie verkörpert wird, zu amüsieren, muss er diese immer wieder zurück ins Nachbarhaus zu ihrem Vater schicken, um sie vor den unglaublichen Entdeckungen im heimischen Wohnzimmer zu schützen.

Eine spieltechnisch besonders gelungene Szene stellt Mortimers beherzter Eingriff in einen weiteren Mordversuch der Tanten dar: Mr. Gibbs (ebenfalls Nam Nguyen), der im Hause Brewster ein Zimmer beziehen möchte, entgeht nur knapp dem Tode. Hier überzeugt das noch junge Duo (Nam Nguyen und Ujiol Teichmann) durch ein gekonntes Slow-Motion-Spiel, das seine tragisch-komische Wirkung durch die klagenden Klarinettentöne (Myriam Alter: Sicily), voll entfaltet.

Eigentlich ist Mortimer der einzig normale Brewster, aber gerade das lässt ihn umso tiefer in den Abgrund fallen, aus dem er sich erst am Ende befreien wird. Als lustloser Theaterkritiker würzt er dieses skurrile Kabinettstück immer wieder mit scharfsinnigen Hintergedanken zum eigentlichen Wert des Theaters, eine Hommage ans Theater, die dem Intendanten Blaes wohl aus der Seele sprechen.

Das verrucht-verrückte Familienidyll droht völlig außer Kontrolle zu geraten, als plötzlich der dritte Neffe Jonathan Brewster, den Larissa Rohde überzeugend als echten Schurken gibt, in Begleitung des Schönheitschirurgen Dr. Einstein (Jana Mattes) auftaucht. Dieser hat dafür gesorgt, dass Jonathan, der schon in seiner Kindheit kriminelle Züge trug und sich zum Schwerverbrecher mauserte, unbehelligt von der Polizei blieb, weil Dr. Einstein ihm stets ein neues Gesicht maßschneiderte. Jana Mattes muss in dieser Rolle immer wieder zum Flachmann greifen, denn Dr. Einstein kann diese Welt nur mit viel Alkohol betäuben. Jonathan aber will jetzt in der Brewster-Familienvilla den Ton angeben, die Tanten sollen sich in ihre Zimmer verziehen und Mortimer und Teddy beseitigt werden.

Die vermeintlich mildtätige Mordserie der Tanten trifft jetzt auf echte Hardcoreverbrechen des Neffen und seines Compagnons. Der noch heimliche Kampf um den einzig sicheren Ruheplatz im Keller bzw. Panamakanal beginnt. Doch dann geraten die beiden Mörderduos in einen offenen Wettstreit. Wer bietet mehr? Zwölf Morde oder dreizehn? Als deutlich wird, dass es sich bei der Leiche des Männerduos um einen gewissen Mr. Spenalzo handelt, lässt Abby kurz ihre wahres Wesen aufblitzen: „Ein Ausländer, ich wusste es!” wirft sie gegen seine Bestattung im Keller ein.

Die Polizeitruppe – O’ Hara (Lea Böshans). Leutnant Rooney (Clarissa Söllner) und Brophy Paul Jäger – wirkt ebenso interessenlos an einer echten Aufklärung der Verbrechen wie unfähig. Was nicht sein darf, kann nicht sein, so könnte man Leutnant Rooneys Devise beschreiben. Nachdem er den flüchtigen Jonathan Brewster verhaftet und sich an einen Komplizen erinnert, dessen Beschreibung er sich telefonisch geben lässt, steht dieser direkt vor ihm und ist sich sicher, überführt zu sein. Doch die ausgestreckten Hände Dr. Einsteins werden zum Gruß entgegen genommen. Anders liegen die Dinge bei O’Hara, der seine Talente eher im Schreiben von Theaterstücken sieht und seine Polizeitätigkeit als Quelle eben dafür.
Die Groteske kommt nach so viel Fahrt erst zur Ruhe, als Mortimer von den munteren Tanten darüber aufgeklärt wird, dass er gar kein echter Brewster ist. Froh fliegt er nun in die Arme seiner Elaine und verkündet: „Hurra ich bin ein Bastard!” Und nach so viel Wirbel endlich wieder unter sich, können auch die frommen Tanten einmal mehr ihrer Mordlust frönen, als der Leiter der Anstalt Zum guten Hirten, Mr. Witherspoon (Daniel Schick,) sich auf ein Gläschen Holunderwein zu ihnen gesellt. Mit einem Tanz der siegreichen Tanten (13:12!) auf die Bachkantate „Mein gläubiges Herze, Frohlocke, sing, scherze, Dein Jesus ist nah! Weg Jammer, weg Klagen; Ich will euch nur sagen: Dein Jesus ist nah!” (BWV 68) endet dieses Gesellschaftsspiel. Ein Mordsspaß! Schaurig schön und abgrundtief sinnig.

Das Premierenpublikum dankte der Theater-AG mit großem Applaus, der Schulleiter Peter Allmann lobte die große Schauspielkunst und forderte dazu auf, dies weiterzusagen.
Das tue ich gerne: Lachen Sie einfach mit!

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Weitere Aufführungen in der Aula des Gymnasiums:
Do., 28.04.2016, 20 Uhr und Sa., 30.04.2016, 20 Uhr

Weitere Vorstellungen gibt die Theater-AG im Karlsruher Sandkorntheater am 6. Mai 2016, 19 Uhr sowie, im Rahmen eines Austauschprogramms mit dem Gymnasium Léclerc LEGT, in Saverne am 23. Mai 2016, 14 Uhr und 20 Uhr, dessen Theatergruppe wiederum ihre Inszenierung, Goldonis “Il genio bueno e il genio cattivo”, in französischer Sprache am 31. Mai 2016, um 15  Uhr und 20 Uhr in der Aula des Alfred-Grosser-Gymnasiums Bad Bergzabern zeigt. Dies geschieht im Rahmen eines von der Deutsch-Französischen-Jugendgesellschaft geförderten Partnerschafts-Projektes, das auch den gemeinsamen Besuch des Internationalen Theaterfestivals in Avignon vom 17.-21. Juli 2016 vorsieht?

 

Eleonore Beinghaus, 4/16